Woodstock-Festival im Wandel der Zeit

Woodstock Fans
Besucher des Woodstock-Festivals (Bild: Flominator/Wikipedia unter CC BY-SA 3.0)

Jahrzehnte sind vergangen und wieder einmal ist es Zeit für Verklärung und Verzückung; Raum für eine realistische Betrachtungsweise des Woodstockfestivals gibt es immer noch selten, obwohl gerade in Woodstock schon vieles deutlich auf einen Zerfall der Popmusik hinwies.Nicht nur die Gewaltgebärden von The Who deuteten unmissverständlich darauf hin, dass von den Love-and-Peace-Idealen keine Rede mehr sein konnte.

Der Irrtum

Als liebevolle Schlammschlacht, sogar als Manifestation der Menschlichkeit ist das Festival in die Musikgeschichte eingegangen. Im Sommer 1969 waren knapp eine halbe Million Jugendliche in der Nähe des Dörfchens Bethel bei Woodstock zusammengekommen. Hier, auf einem knapp 250 Hektar großen Maisfeld, knappe 2 Autostunden nördlich New Yorks, intonierte die schwangere Joan Beaz „We Shall Overcome“ und löste damit auch sinnbildlich einen warmen Sommerregen aus.

Im Grunde genommen war das Festival eine simple Geschäftsidee. Allerdings musste das Festival erst zum riesigen Happening ausarten, um eine Marke zu werden und auf längere Sicht Profit abzuwerfen. Es war der Investor Michael Lang, der damals schon erkannte: Investitionen in Musik lohnen sich. Geplant war, dass das Festival den finanziellen Grundstock für eine Produktionsfirma einbringen sollte. So zapfte Lang Finanzquellen an der Wall Street an – dabei kalkulierte der Unternehmer mit etwa 60 000 Gästen, die für einen damals noch stolzen Ticketpreis von 24 USD musikalische Größen hören wollten.

Dabei hatte sich Michel Lang von dem Namen Woodstock allerlei versprochen, wohnte doch der Folk- und Rockbarde Bob Dylan in der Nachbarschaft. Das war ein Irrtum, denn Dylan hatte keine Lust – an seiner Stelle kamen aber wahre Heerscharen junger Leute, deren Sympathien für Kartenkassen, Hygiene und Zäune ziemlich begrenzt waren. Der finanzielle Erfolg blieb zunächst aus, der Mythos, diverse Woodstock-Filme und Alben brachten schließlich doch erkleckliche Renditen ein.

Woodstock endet nie

Bob Dylan kam nicht. Größen wie The Beatles, The Rolling Stones, The Doors oder Led Zeppelin und die großen Stars schwarzer Soulmusik auch nicht. Dennoch gelang es mit vergleichsweise immensen Gagen, Superstars wie Greatfull Dead, Santana Blues Band, Jonny Winter, Canned Heat, Creedence Clearwater Revivel, Ten Years After, Blood Sweat & Tears, Crosby, Stills, Nash and Yong und viele andere auf den Acker zu lotsen – und damit das vermeintlich allerletzte paradiesische Musik-Event zu organisieren.

Doch weit gefehlt, auch noch Jahre nach Woodstock besuchen die Nachkommen der damaligen Festivalgänger heutige Musik-Events, die im gesamten Bundesstaat und mit Künstlern verschiedendster Musikrichtungen veranstaltet werden. Und so endet Woodstock nie.

Die Realtität von „3 days of peace & music“

Dass der Gedanke von Frieden und Musik nicht unbedingt der Wahrheit entsprach, erkannte man spätestens am zweiten Tag, als The Who ihren Auftritt hatten: Die Band hatte die allererste Rockoper verfasst, ihre namhafte Gage im Voraus eingefordert und war nur durch Drohungen, ihr raffgieriges Geschäftsgebaren offenkundig machen zu wollen, zum Auftritt zu bewegen. So begannen The Who ihre Woodstock-Mugge mit einer Attacke Pete Townshends auf einen Kameramann, um anschließend dem Friedensaktivisten Abbie Hoffman die Gitarre auf den Kopf zu knallen. Kameramann und Friedensaktivist hatten wohl den reinen Promotiongig für „Tommy“ gestört.

Ausgerechnet die großartige Janis Joplin äußerte sich wohl am weitsichtigsten: „Früher waren wir nur Wenige. Jetzt gibt es Massen und Massen und Massen von uns.“ Wen meinte sie mit ihrem Omen? Blumenkinder? Junge Menschen unter 30? Revolutionäre? Babyboomer? Rettungslos Zugedröhnte – oder Popkonsumenten und Naive? Woodstock war eine Wallfahrt der Wahrheitssuchenden des Summers of Love – aber seit 1969 gab es diese Wahrheit nicht mehr.

Im Jahr 1969 landeten die Amerikaner auf dem Mond. Das Internet wird geboren, in Washington eskalieren die Proteste gegen den Vietnamkrieg und in New York taucht der HI-Virus auf. In der Popmusik setzte das Sterben der 27er ein – so Brian Jones, als ihm die Rolling Stones gekündigt hatten. John und Yoko zelebrierten ihre Flitterwochen im Amsterdamer Bett und die Beatles trennten sich. Silvester 1969 schloss der Hamburger Star Club, wo die Beatles das Popzeitalter eingeläutet hatten und so fand die Popmusik ihr Ende als pubertäre Sache – mit ihr waren die Nachkriegsjahrgänge nun erwachsen geworden.

Der Wandel

Nach Woodstock mit Verkleiden, Matsch und Spielen-bis-zum-Morgengrauen zerfiel die Popmusik: Elvis sang wieder – aber mit „Suspicious Minds“ den Rock der Arrivierten. Led Zeppelin begründeten Heavy Metal, Bob Marley erfand seine Allerweltsmusik, Stooges den Punk und die Skinheads das Geburtsjahr ihrer Bewegung. Die Intensionen des Pop, alles weicher, schöner und bunter zu machen, hatten sich erledigt – trotz der versammelten Hunderttausende von Woodstock.

Nachdem einige Musiker des Line-up Musikgeschichte schrieben, kämpfen sie heute tapfer gegen das Rentenalter an. Andere gingen längst den Weg alles Irdischen – sicher immer noch im Glauben an das Gute im Menschen und an sich selbst.

Heute geht es den Festival-Gängern primär um die Musik. Eine Nachricht wie zu Woodstock-Zeiten soll nur selten vermittelt werden. Im Vordergrund steht aktuell der Kult um Bands, Merchandising und Festivalbänder, die aktiv gesammelt werden. Während einige Fans die Bänder ganzjährig am Arm tragen, stapeln sich die Eintrittsbänder bei anderen im Schrank. Doch egal, ob Sommer der Liebe oder Tage voller Rockmusik – damals wie heute kommen die Leute zusammen, um gemeinsam etwas Großes zu erleben.

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