Forscher erstellen größten menschlichen Stammbaum der Welt

Bild: depositphotos.com / adrenalina

Mithilfe von Gentechnik und einer künstlichen Intelligenz hat ein Forscherteam den größten menschlichen Stammbaum erstellt. Die in einem Video visualisierte Genealogie reicht rund 100.000 Jahre in die Vergangenheit. Sie ermöglicht es, nicht nur Verwandtschaftsbeziehungen zwischen heute lebenden Menschen, sondern auch die gesamte Evolutionsgeschichte nachzuzeichnen.

So entstand der größte menschliche Stammbaum der Welt

Zum aktuellen Zeitpunkt hat man in der Wissenschaft bereits hunderttausende Genome sequenziert, sowohl von lebenden als auch von seit Langem verstorbenen Personen. Aus Ermangelung einer effizienten Methode konnte man die Proben jedoch nie vollständig in Relation setzen.

Nun hat sich das geändert: Ein Forschungsteam aus Wissenschaftlern der University of Oxford, des MIT und der Harvard University entwickelten gemeinsam eine künstliche Intelligenz für diesen Zweck. Sie kombiniert Genomsequenzen, womit sich die umfangreiche Datenbank in ihrer Gänze analysieren lässt.

Visualisierung abgeleiteter Abstammungslinien menschlicher Vorfahren über Zeit und Raum.
Jede Zeile repräsentiert eine Vorfahren-Nachkommen-Beziehung in unserer abgeleiteten Genealogie moderner und antiker Genome. Die Breite einer Linie entspricht der Häufigkeit, mit der die Beziehung beobachtet wird. Die Farbe der Linien richtet sich nach dem geschätzten Alter des Vorfahren.
Bildquelle: © science.org

Für den größten menschlichen Stammbaum der Welt wurden mehr als 3.500 Genomsequenzen aus 215 verschiedenen Populationen verwendet. Manche der Proben waren älter als 100.000 Jahre. Die künstliche Intelligenz erstellte daraus ein Video, das die geschätzten geografischen Aufenthaltsorte unserer Vorfahren und anschließende Migrationsströme zeigt. So gelang es den Forschern erstmals, die komplette Abstammungsgeschichte des Menschen zu visualisieren.

Wichtige Ereignisse der Evolutionsgeschichte nun belegt

Die Autoren der Studie konnten durch den neuen umfangreichen Stammbaum bestimmen, wo gemeinsame Vorfahren der heutigen Menschen lebten und auf welchen Wegen sie sich später ausbreiteten. Weiterhin bestätigte die Analyse bereits bestehende Annahmen über die Evolutionsgeschichte. So fanden sich beispielsweise die größte genetische Vielfalt und auch die ältesten DNA-Proben in Afrika.

Diese Tatsachen bestätigen, dass sich die menschliche Evolution überwiegend auf dem afrikanischen Kontinent abspielte. Belegen konnte man auch das Out-of-Africa-Ereignis, also die große Auswanderung vor ungefähr 70.000 Jahren. Durch ähnliche Methoden könnten Forscher in Zukunft weitere Rückschlüsse über die Abstammungsgeschichte des Menschen ziehen.

Gab es unbekannte Migrationen in der Menschheitsgeschichte?

Einige dieser neuen Rückschlüsse zeigen sich bereits jetzt am Horizont. So weisen die Resultate der Forschung darauf hin, dass Nordamerika bereits viel früher von Menschen besiedelt wurde als derzeit angenommen. Möglicherweise wird eine solche Migration in der Zukunft noch belegt werden, beispielsweise durch neue archäologische Funde.

Eine weitere Erkenntnis der Forscher besteht darin, dass unsere afrikanischen Vorfahren schon vor 12.000 Jahren über einen regionaleren Lebensstil verfügten – und damit deutlich früher als bisher bekannt. Noch vor 50.000 Jahren legten die Menschen sehr weite Strecken zurück, gingen Partnerschaften mit Personen aus anderen Bevölkerungsgruppen ein und konnten so den Herausforderungen der Eiszeit standhalten. Doch sobald diese endete, verkleinerten sich auch die soziokulturellen Netzwerke der Menschen – ein Wandel, den wir erst jetzt wieder rückgängig machen.

Mehrere “Wiegen der Menschheit”

Interessant sind auch die Genome, die für die Studie erstmals analysiert wurden. Neue Skelettfunde aus Subsahara-Afrika zeigten drei verschiedene Herkunftslinien. Zwei davon stammten aus Nordost- und Südafrika und waren der Wissenschaft bereits bekannt. Die dritte jedoch führt nach Zentralafrika und stellt eine völlig neue Entdeckung dar.

Sie unterstützt damit die bereits bestehende Theorie vieler Anthropologen, dass es in Afrika zahlreiche Populationen gab, die zu einigen Zeitpunkten miteinander verflochten und zu anderen getrennt voneinander agierten. Wenn das tatsächlich wahr ist, bedeutet es auch: So etwas wie “die Wiege der Menschheit” gibt es gar nicht – wohl aber mehrere.

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