Immer mehr Menschen möchten herausfinden, woher sie kommen. Gibt es vielleicht Urahnen im Balkan, in Skandinavien oder sogar in Asien? Der Weg zu einer solchen Erkenntnis führt in den meisten Fällen über einen Gentest zum Selbermachen, der im Internet bestellt und zur Auswertung zurückgeschickt wird. Doch genauso einfach, wie diese Methode klingt, so gefährlich ist sie auch.
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Direct-to-consumer-Gentests: Reizvoll, aber wissenschaftlich nicht haltbar
Mehrere Millionen Menschen haben bisher sogenannte Direct-to-consumer-Gentests (DTC) im Internet bestellt. Einige Anbieter solcher Kits sind Websites mit Fokus auf Genealogie, andere beschäftigen sich mit Lifestyle und Gesundheit. Die Funktionsweise des Tests ist in allen Fällen gleich: Der Kunde erhält ein Wattestäbchen, mit dem er einen Abstrich seiner Mundschleimhaut durchführt und die Probe in einem Röhrchen zurücksendet. Nach einigen Wochen erhält er online das Ergebnis, das ihm beispielsweise erklärt, er sei zu sechs Prozent Afrikaner, habe aber auch einen entfernten Cousin in Rumänien.
Dass die Erkenntnisse aus einer solchen Herkunftsanalyse der Wahrheit entsprechen, wird von vielen Experten bezweifelt. Die Daten seien wissenschaftlich nicht haltbar, zumal die Anbieter nicht einmal eine Erklärung dafür liefern, wie sie sie erhoben haben. Auch das Vorschlagen anderer User, die aufgrund von Ähnlichkeiten im Erbgut entfernte Verwandte des Kunden sein könnten, betrachten die Profis mit Skepsis.
Wer sein Erbgut in ein anderes Land schickt, kann seine Daten nicht mehr schützen
Einige Methoden und Auswertungen, die DTC-Anbieter nutzen, sind in Deutschland nicht legal. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass die Kunden ihre DNA-Proben ins Ausland versenden, beispielsweise in die USA oder nach Israel. Das Problem daran: Oft verfügen diese Länder über einen deutlich geringeren Datenschutzstandard als die Europäische Union. Dann gehen nicht nur die hohen europäischen Standards bei der Speicherung und Verarbeitung der Daten verloren. Auch Rechte wie das auf Auskunft und Löschung können gegebenenfalls nicht mehr durchgesetzt werden.
Doch es wird noch unangenehmer: 2019 wurde der Anbieter MyHeritage Opfer eines Hacking-Angriffs, worauf mehr als 90 Millionen Kundendaten im Darknet zum Verkauf standen. So können Wildfremde, denen dieselbe Person im realen Leben nicht einmal ihre Anschrift mitgeteilt hätte, auf das Genmaterial von Kunden zugreifen. Doch auch ohne Hacker kann allerhand schiefgehen. Denn in vielen Fällen erlaubt das Kleingedruckte den Anbietern, die sensiblen Gendaten ihrer Kunden weiterzuverkaufen.
FBI, Pharmaindustrie und Google: Das geschieht mit dem Genmaterial
Paradebeispiel ist der US-amerikanische Anbieter 23andMe. 2018 ging das Unternehmen einen Deal mit dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline ein. 23andMe erhielt 300 Millionen Dollar, GlaxoSmithKline Zugang zur DNA-Datenbank des Unternehmens. Ähnliche Bauchschmerzen bereitet ein Blick auf den Anbieter Family-Tree-DNA, der zwei Millionen DNA-Profile an das FBI herausgab. Eine gerichtliche Verfügung dafür gab es nicht.
Übrigens: Durch die Ehe von 23andMe-Chefin Anne Wojcicki und Google-Mitbegründer Sergey Brin stehen sich die beiden Unternehmen gefährlich nahe. Dass an 23andMe herausgegebene Gendaten auch in die Hände von Google gelangen, ist nicht auszuschließen. Die Suchmaschine wäre dann in der Lage, Werbung zu schalten, die auf die DNA der Nutzer zugeschnitten ist – beispielsweise Anzeigen für Mittel gegen erblich bedingte Krankheiten oder Pflegeprodukte für einen bestimmten Haartyp.
Es wird klar: Der genetische Code ist die sensibelste Information, die ein Mensch von sich preisgeben kann. Aus diesem Grund sollte niemand nachlässig mit seinem Erbgut umgehen und es schon gar nicht an einen Online-Anbieter verschicken. Sinnvoller ist die genealogische Forschung mit realen, medizinischen Experten und vielleicht auch der klassischen Suche im Archiv.